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Am 15. Oktober 2017 war der 30. Jahrestag der Ermordung von Thomas Sankara. Aus diesem Anlass bringen wir das Interview, das Esdras Ndikumana von Radio France Internationale (rfi) mit Bruno Jaffré geführt hat.

Bruno Jaffré: „Wir kommen der Wahrheit über den Tod von Sankara näher“

Bruno Jaffré ist Historiker, der über die Revolution in Burkina Faso forscht, und Biograf von Thomas Sankara. Er hat gerade sein Buch «Thomas Sankara, la liberté contre le destin» bei dem Verlag Syllepse (in der Sammlung «Utopie Critique») herausgegeben. Es handelt sich um eine Sammlung der wichtigsten kommentierten Reden des ehemaligen Präsidenten von Burkina Faso, die er während der vier Jahre in seinem Amt hielt.

RFI: Welche der von Ihnen gesammelten Reden wäre für Sie die Bedeutendste?

Bruno Jaffré: Aus meiner Sicht gibt es nicht nur die Eine. Zuerst denke ich aber an die Rede vor Vereinigten Nationen, die umfassend ein Verständnis über das Denken von Thomas Sankara gewinnen lässt. Bekanntlich war Sankara erklärter Antiimperialist. Weiterhin gibt es die Rede über die Freiheit der Frauen, die vielleicht nicht den gleichen Rang hatte, die ich aber ähnlich einstufen würde. Sie ist lyrisch und politisch zugleich. Es sind lange Reden, die wahrscheinlich nach der ersten Version verändert wurden. Sankara griff tatsächlich auf verschiedene Schreiber zurück, mir wurde aber auch erzählt, dass er sich in der Regel nicht an die ersten Versionen hielt. Nach meiner Einschätzung hat er den wichtigeren Teil dieser Reden selber geschrieben.

Was fällt Ihnen in diesen Reden besonders auf?

Sankara war ein sehr verständnisvoller Mensch und das spiegelt sich in seinen Reden wieder. Eine besondere Empathie gegenüber Frauen, seiner Mutter und anderen ihm bekannten ist dort gut spürbar. In der Rede vor Vereinigten Nationen ist es ähnlich. Immer wieder findet man in Abschnitten seiner Reden Formulierungen wie „ich spreche im Namen von…“. Er erwähnt alle Kategorien von Menschen, die auf dieser Erde leiden und gibt dadurch ein Zeugnis seiner Empfindsamkeit, seiner politischen Kompetenz. Das sind die zwei wichtigsten Züge von Thomas Sankara.

Wie sie selber zugeben: die Zusammenstellung der Reden war ein langwieriger Prozess. Was hat Ihnen vor allem Probleme bereitet?

Ich war nicht der erste, der auf die Idee gekommen ist, die Reden zu sammeln. Es gab schon Sammlungen, die auch bekannt sind. Es gibt eine, die bei L’Harmattan veröffentlicht wurde und eine letztere mit dem Titel “Tomas Sankara parle“, in der aber die gleichen Texte übernommen wurden. Mein Beitrag besteht vor allem darin, die einzelnen Reden vorzustellen. Ich denke, darin liegt die Neuigkeit meiner Arbeit und es stimmt natürlich, dass weitere Reden dazu gekommen sind.

Ein Teil dieser Reden wurde niemals von Thomas Sankara gehalten. Was waren die Gründe dafür?

Die Reden wurden doch gehalten, bis auf eine. Es geht um eine Rede, die von einem Journalisten gefunden wurde. Das ist eine wichtige Rede, eine Rede, die er am Abend am 15 Oktober gehalten hätte. Sie wurde versteckt vom Front Populaire, das heißt der Regierung von Blaise Compaoré, der Sankaras Tod verantwortet, und wieder aufgefunden. In dieser Rede kündigt Sankara an, dass er die Stabilität anstreben will und die Probleme innerhalb der Führung der Revolution lösen möchte.

Bei der Lektüre der Reden stellt man fest, dass Thomas Sankara sehr oft auf die zahlreichen Feinde zeigte. Wirft das nicht Licht auf das Schicksal, das ihm widerfahren ist?

Doch. Wenn man Anführer einer Revolution ist, hat man Feinde. Das wusste Sankara. Und er versteckte sich nicht und zeigte deutlich auf sie.

War es nicht in der Tat einer seiner schwachen Punkte, die Feinde zu kennen und öffentlich zu benennen, aber nichts gegen sie zu unternehmen?

Diese Frage wird mir nicht oft gestellt. Warum hat er sich nicht gegen seine Feinde abgesichert? Sie waren um Blaise Compaoré, seinen besten Freund, versammelt. Sankara hatte einen hohen Wert vom Begriff der Freundschaft, indem er oft sagte „Freundschaft sollte nicht verraten werden“. Aus diesem Grund ist seine Rede vom 15. Oktober so interessant, weil er dort ankündigt: „nun werden wir unsere Feinde eliminieren“. Damit meint er keine physische Eliminierung, sondern eine Entfernung aus der Führungsriege der Revolution. Das ist der Grund, warum er selber getötet wurde – unter Einmischung von westlichen Mächten, auch Frankreich.

Denken Sie, Thomas Sankara wäre auch heute ein Vorbild für die Jugend in Afrika?

Er ist ein Vorbild. Die Jugend braucht Modelle, in denen sie sich wiederfinden kann, und wer wäre das sonst in der letzten Zeit? Sankara ist der letzte Anführer der Revolution in Afrika. Alle anderen reden viel, handeln aber opportunistisch, oberflächlich. Und dazu kommt sein Kampf gegen die Korruption. Die Menschen waren sich sicher, dass Sankara ohne Skrupel gegen die Korruption vorging. In Folge von öffentlichen Prozessen wurde viel geraubtes Geld zurückgewonnen. Alles war sehr transparent.

Was bleibt dreißig Jahre nach dem Tod von Thomas Sankara?

Der Aufstand, den wir gerade erlebt haben, wurde von den Kindern Thomas Sankaras dreißig Jahre später gemacht. Sie hatten einen Leitspruch: „Ein Sklave, der keine Revolte zu Ende führen kann, verdient kein Erbarmen.“ Und: „Entweder Heimat oder Tod. Wir siegen!“ Das sind zwei Aussagen, die die Jugend zitiert. Es gibt einige Filme über den Aufstand. Die jungen Menschen sagen auch: „Wir haben genug. Wir wollen lieber sterben als unter Blaise Compaoré weiter zu leiden.“ Ich hoffe, das reicht, um Ihnen zu zeigen: diese Jugend, das sind Kinder von Thomas Sankara.

Sie widmen in Ihrem Buch einige Seiten dem Mord an Thomas Sankara. Glauben Sie, dass wir eines Tages die Wahrheit erfahren dürfen, nachdem die Dinge in Burkina Faso sich verändert haben?

Das hoffe ich. Wir kommen der Sache näher. Dieses Thema beschäftigt immer mehr die Journalisten. Es gibt ein Rechtshilfeersuchen von einem burkinischen Richter. Die Ermittlung wird in Frankreich durch einen französischen Richter weitergeführt. Das ist insoweit zufriedenstellend, da es bedeutet: Details über den Mord an Thomas Sankara sind auch in Frankreich zu erfahren. Ich bin hier optimistisch. Ich kämpfe dafür seit langer Zeit. Ich habe nicht aufgegeben – trotz meines hohen Alters – und ich glaube immer noch, dass wir uns Schritt für Schritt der Wahrheit nähern.

Esdras Ndikumana in rfi vom 13.08.17  /  Übersetzung: Roman Bartel